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| Impressum 02. September 2011, von Michael Schöfer 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (eine Rezension) Ha-Joon Chang, ein südkoreanischer Wirtschaftswissenschaftler, der in Cambridge promovierte und dort an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften forscht, ist zwar für den Kapitalismus, aber gegen das neoliberale Modell. In seinem Buch "23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen" will er mit den Mythen der neoliberalen Wirtschaftslehre aufräumen. Das gelingt. Chang sagt unter anderem: "Den 'freien Markt' gibt es nicht. Jeder Markt hat Regeln und Grenzen, die die Wahlfreiheit einschränken." [Seite 19] Er prangert das Sharholder-Value-Konzept an: "Hätte General Motors 1986 bis 2002 nicht für 20,4 Milliarden Dollar Aktien zurückgekauft, sondern das Geld mit einem jährlichen Gewinn nach Steuern von 2,5 Prozent auf die Bank gelegt, so hätte der Konzern (…) die 35 Milliarden Dollar, die er im Jahr 2009 zur Abwendung des Bankrotts brauchte, ohne Schwierigkeiten selbst aufbringen können". [Seite 41] Das Einzige, was GM, um den Konkurs abzuwenden, nicht versucht habe, sei "bessere Autos zu bauen". Der Firma sei es zwar immer schlechter gegangen, den Managern und den Aktionären dafür umso besser. Was für Letztere gut sei, sei daher noch lange nicht gut für das Land. [Seite 260f] Den Trend, weg von der industriellen Produktion und hin zur Dienstleistungsgesellschaft, hält er für falsch. Er nennt ihn eine postindustrielle Phantasie. Die Regierungen hätten "die negativen Folgen der Deindustrialisierung" sträflich "außer Acht" gelassen. [Seite 138] Dass die Wirtschaft nicht davon profitiert, wenn die Reichen immer reicher werden, belegt er mit Zahlen. Die "Trickle-down-Theorie" habe total versagt, da sie dem Wachstum und den Investitionen abträglich gewesen sei. [Seite 185f] Vielleicht sind seine Ansichten über Afrika etwas zu optimistisch. "Afrika ist nicht zur Unterentwicklung prädestiniert", postuliert Chang. [Seite 153f] Zur Unterentwicklung vielleicht nicht, aber die politischen Tragödien, die wir dort immer wieder sehen, lassen m.E. wenig Raum für Hoffnungen. Seine kritische Haltung zur Rolle der eigenen Zunft fasst gewissermaßen das ganze Buch zusammen: "Während der letzten drei Jahrzehnte haben Wirtschaftsexperten eine tragende Rolle dabei gespielt, die Bedingungen für die Krise des Jahres 2008 zu schaffen (und für Dutzende kleinerer Finanzkrisen vorher, etwa die Schuldenkrise der Dritten Welt 1982, die Krise des mexikanischen Pesos 1995, die Asienkrise 1997 und die russische Krise 1998), indem sie die theoretische Rechtfertigung für finanzielle Deregulierung und das ungehinderte Streben nach kurzfristigen Gewinnen lieferten. Anders ausgedrückt, verfügen sie über ausgeklügelte Theorien, die jene Politik rechtfertigen, die zu einem verlangsamten Wachstum, größerer Ungleichheit, höherer Arbeitsplatzunsicherheit und den immer häufigeren Finanzkrisen geführt hat, unter denen die Welt in den letzten drei Jahrzehnten zu leiden hatte. Daneben haben sie eine Politik vorangetrieben, welche die Aussichten auf eine langfristige Besserung der Lage in den Entwicklungsländern verschlechtert hat. In den reichen Ländern haben diese sogenannten Experten das Leben der Menschen immer unsicherer gemacht und sie dazu verleitet, die Macht neuer Technologien zu überschätzen, den Verlust staatlicher Kontrolle über die Volkswirtschaft zu ignorieren und eine selbstgefällige Haltung gegenüber der Deindustrialisierung einzunehmen. Nicht zuletzt machten sie uns beharrlich glauben, dass die von vielen Menschen auf dieser Welt als unerwünscht empfundenen wirtschaftlichen Resultate in Wahrheit unvermeidlich seien. Wachsende Ungleichheit, schwindelerregende Managergehälter oder die extreme Armut in armen Ländern etwa seien ein Produkt der (egoistischen und rationalen) Natur des Menschen und der Notwendigkeit, Menschen gemäß ihres produktiven Beitrags zu entlohnen. (…) Die Wirtschaftslehre, die in den letzten drei Jahrzehnten praktiziert worden ist, hat den meisten Menschen definitiv geschadet." [Seite 327f] Wer regelmäßig kritische Berichte über die Wirtschaftspolitik liest, wie etwa auf den NachDenkSeiten, dem wird Chang kaum etwas Neues bieten. Das Buch wendet sich eher an Leser, die die Diskussionen über den richtigen Weg bislang nur oberflächlich verfolgt haben, aber durch die Finanz- und Wirtschaftskrise aufgeschreckt wurden. Vorkenntnisse sind fürs Lesen nicht erforderlich. Wohltuend: Fachtermini lässt der Autor außen vor. Kurzum, ein lesenswertes Buch. |