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03. Mai 2012, von Michael Schöfer
Das ist typisch für viele Unternehmen


Ikea soll Presseberichten zufolge von der Zwangsarbeit von Häftlingen in den Gefängnissen der früheren DDR profitiert haben. Ob wissentlich oder unwissentlich ist noch nicht genau bekannt. Vielleicht hat man sich bei Ikea dafür nicht besonders interessiert. Wie dem auch sei, jedenfalls fand ich den nachfolgenden Satz entlarvend: "Noch 1989 pries der damalige Ikea-Konzernchef Anders Moberg die Qualität der DDR-Zulieferer. Doch dann kam die Wende und die ostdeutschen Betriebe wurden Ikea zu teuer - der Konzern verlagerte die Produktion in Länder wie Vietnam und Kambodscha." [1] Ich nehme an, dass Ikea an den Produktionsbedingungen in Vietnam und Kambodscha ebenfalls nicht besonders interessiert war. Nicht hinsehen, unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden, gehört doch für viele Firmen zum Geschäftsmodell. Das beste Beispiel hierfür ist das Gespann Apple/Foxconn.

Kein Wunder, bei den Profiten. Beispiel Apple iPhone: "Die Fertigung in China kostet das Unternehmen (...) 178,45 Dollar (135,6 Euro) pro Gerät. Der Verkaufspreis liegt bei 630 Dollar (479 Euro). Apple verdient damit 452 Dollar (343 Euro) an jedem iPhone, eine Gewinnspanne von 72 Prozent." [2] Würde Apple das iPhone in den USA produzieren, stiegen die Produktionskosten auf 337,01 Dollar (256 Euro) - fast das Doppelte. Entsprechend würde die Gewinnspanne sinken, weil der Laden-Verkaufspreis natürlich selbst für das iPhone nicht grenzenlos steigen darf. Das kann sich ein Konzern, der im vergangenen Jahr 34,2 Mrd. US-Dollar (26 Mrd. Euro) Gewinn erwirtschaftete [3] und über Barreserven von rund 100 Mrd. US-Dollar verfügt [4], keinesfalls leisten.

Ich glaube sogar, allerdings ohne es beweisen zu können, dass viele Unternehmen über die Ausbeutung in ihren Produktionsstätten bzw. bei ihren Auftragsherstellern Bescheid wissen, denn sie ist von vornherein einkalkuliert. Derartige Gewinnspannen sind nämlich ohne die systematische politische Unterdrückung der Beschäftigten gar nicht möglich. Dort, wo Meinungs- und Pressefreiheit herrscht, wo sich die Menschen in unabhängigen Gewerkschaften zusammenschließen dürfen, wo freie Wahlen stattfinden und echte Gewaltenteilung existiert, steigen die Produktionskosten zwangsläufig an. Es hat doch seinen Grund, wenn in Staaten wie China oder Vietnam produziert wird.

Und manchen ist China schon zu teuer geworden: "'China ist kein Billigstandort mehr', sagt Leoni-Vorstand Uwe Lamann. 'Unser Automatisierungsgrad ist sehr gering, und die Löhne legen kräftig zu.' Um rund 14 Prozent werden die Lohnkosten in diesem Jahr steigen, im kommenden Jahr voraussichtlich um weitere 13 Prozent. Laut denkt der Manager bereits darüber nach, mehr Produktion aus Schanghai nach Vietnam zu verlagern." [5] Wie wäre das erst, wenn die Chinesen frei wären? Zum Glück - für die Unternehmen - gibt es auf dem Globus noch zahlreiche bettelarme, autokratisch regierte Länder, deren Eliten nur darauf warten, ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. So schnell gehen den Firmen die Billigstandorte also nicht aus. Ikea? Im Grunde ein alter Hut.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 03.05.2012
[2] ORF-news vom 25.04.2012
[3] Die Welt-Online vom 03.05.2012
[4] Wirtschaftswoche vom 19.03.2012
[5] Der Tagesspiegel vom 13.11.2011