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13. November 2012, von Michael Schöfer
Generalstreik wegen Sparpolitik?


In Griechenland haben die Gewerkschaften vor kurzem versucht, die Zustimmung der Regierung zu einem weiteren Sparpaket mit einem 48-stündigen Generalstreik zu verhindern. Vergeblich. In Spanien und Portugal rufen sie für den 14. November zu einem "Tag der Aktion und der Solidarität" auf, zum "ersten gesamt-iberischen Streik der Geschichte". Auch in Italien soll gestreikt werden. Das ist verständlich, denn in Südeuropa grassiert die Arbeitslosigkeit. Die rigide, vor allem von Deutschland aufoktroyierte Sparpolitik hat zu massiven Einkommensverlusten, Kürzungen bei den Renten und beim Arbeitslosengeld geführt. Außerdem wurden die Steuern drastisch erhöht. Zwangsläufige Folge: Das Wirtschaftswachstum bricht ein, die Schulden steigen. Deutschland geht es dagegen noch vergleichsweise gut. Die Betonung liegt hierbei auf "noch", denn angesichts der Krise bei den europäischen Handelspartnern sind die Bremsspuren beim Export unübersehbar. Diese prozyklische Politik ist absolut kontraproduktiv. Sparen in der Krise verschärft die Lage immer mehr, weil es der angeschlagenen Wirtschaft zusätzlich Kaufkraft entzieht. Stattdessen käme es auf antizyklische Wachstumsimpulse an, doch von denen ist weit und breit nichts zu sehen.

Vor diesem Hintergrund fordert Oskar Lafontaine einen "europaweiten Generalstreik". "Dieser sei ein Mittel, um die Fehlentscheidungen von Parlamenten rückgängig zu machen. 'Das Versagen der Regierungen, die korrupte Politik in Athen und die Lohndrückerei in Deutschland schaden den Menschen in ganz Europa', so Lafontaine." [1] Ökonomisch betrachtet hat er sicherlich recht, die Austeritätspolitik ist vollkommen hirnrissig. Dennoch bleibt, von der juristischen Lage in Deutschland einmal abgesehen (politische Streiks sind hierzulande rechtswidrig), ein fundamentaler Widerspruch: In Griechenland, Portugal und Spanien hat das Wahlvolk kurioserweise ausnahmslos konservativ geführte Regierungen gewählt. Und das ist gar nicht lange her: Am 5. Juni 2011 haben die Portugiesen die konservativ-liberale Partido Social Democrata von Pedro Passos Coelho mit 38,66 Prozent zur stärksten Partei gemacht, am 20. November 2011 hat in Spanien die konservative Partido Popular von Mariano Rajoy die Parlamentswahlen mit satten 44,63 Prozent gewonnen, und am 17. Juni 2012 haben die Griechen die konservative Nea Dimokratia von Andonis Samaras mit 29,7 Prozent auf die Regierungsbank gehievt. Abgewählt wurden jeweils die Sozialisten José Sócrates (Portugal), José Luis Rodríguez Zapatero (Spanien) und Giorgos Andrea Papandreou (Griechenland). Es ist daher noch nicht einmal klar, ob im nächsten Jahr bei der Bundestagswahl die "schwäbische Hausfrau" wirklich abgewählt wird. Scheitert die FDP an der 5-Prozent-Hürde und kommt die LINKE in den Bundestag, könnte es den derzeitigen Umfragen zufolge erneut auf eine Große Koalition (Schwarz-Rot) hinauslaufen.

Mit anderen Worten: Die Proteste sind angesichts der desaströsen Lage nachvollziehbar und notwendig, aber solange sich der Unmut der Straße nicht in entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten widerspiegelt, wird sich an der fatalen Sparpolitik vermutlich wenig ändern. Die Aussichten sind deshalb alles andere als berauschend. Betrachten wir beispielsweise die Lage in Deutschland: Die SPD hat mit Peer Steinbrück einen erklärten Befürworter der Agenda-Politik als Kanzlerkandidat vorgesetzt bekommen (machen Sie sich keine Hoffnungen, der SPD-Parteitag wird die Hinterzimmerkür gewiss brav absegnen). Zudem ist der frühere Bundesfinanzminister für die verhängnisvolle Deregulierung der Finanzmärkte mitverantwortlich (bloß zur Erinnerung: die gegenwärtige Krise haben ursprünglich die Finanzakrobaten verursacht). Die grüne Basis hat soeben neben Jürgen Trittin die Agenda-Befürworterin Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin aufs Schild gehoben. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) lobte sie in der WELT prompt als "fromme und verlässliche Frau". [2] Nachtigall, ick hör dir trapsen! Und dann sollen wir, das Wahlvolk, wirklich glauben, dass SPD und Grüne (so sie denn überhaupt gemeinsam an die Macht kommen), den gesetzlichen Mindestlohn einführen, die Reichen höher besteuern und die Finanzindustrie härter an die Kandare nehmen werden? Wer sich noch daran erinnert, was 1998 nach der gewonnen Bundestagswahl aus den rot-grünen Wahlversprechen geworden ist, wird daran wahrscheinlich eher zweifeln.

Die politischen Verhältnisse in Europa sind ähnlich verfahren wie in den Vereinigten Staaten: Es fehlen überall echte Alternativen. Zwar haben viele aufgeatmet, als Barack Obama gegen Mitt Romney die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, am politischen Patt in Washington hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Und es ist keineswegs schon ausgemacht, dass die Republikaner im Kongress jetzt tatsächlich "vernünftig" werden. Erst einmal abwarten. Doch davon abgesehen, Obama ist im Grunde für seine Anhänger eine herbe Enttäuschung. Zu Recht. Ebenso wenig wäre wohl von Rot-Grün zu erwarten. Machen wir uns nichts vor: Ohne tiefgreifende Änderung der Politik fährt der Karren bestenfalls ein bisschen langsamer an die Wand, aber zu diesem spürbaren Politikwechsel sind die Parteien der inszenierten Lagerwahl (Union/FDP versus Rot-Grün) natürlich nicht bereit. Dass der Ex-Vorsitzende einer Partei, die, so wie es derzeit aussieht, 2013 um den Einzug in den Bundestag kämpfen muss, zum europaweiten Generalstreik aufruft, ist bezeichnend. Der Aufruf wird daher, zumindest außerhalb des südeuropäischen Krisengebiets, wirkungslos verpuffen. Jedenfalls vorläufig. Ginge es den Deutschen ähnlich schlecht wie den Griechen oder Spaniern, sähe das womöglich anders aus. Paradoxerweise muss man hoffen, dass es nie so weit kommt.

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[1] DiePresse.com vom 13.11.2012
[2] Die Welt-Online vom 13.11.2012