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21. August 2013, von Michael Schöfer
Mal wieder ein Einzelfall


In Dossenheim, ca. 20 km von meinem Wohnort Mannheim entfernt, hat abermals ein Sportschütze zugeschlagen. Zwei Menschen wurden bei diesem "bedauerlichen Einzelfall" [1] getötet und fünf weitere verletzt, bevor sich der Täter selbst erschoss. Es ging um einen Streit bei einer Eigentümerversammlung. Der Mörder besaß sieben Waffen. Völlig legal, versteht sich. Er war ja Sportschütze.

Der Fall in Dossenheim ist nur einer unter vielen. Uns allen ist sicherlich noch der Amoklauf von Winnenden im Gedächtnis geblieben, wo ein 17-Jähriger mit der Waffe seines Vaters (eines Sportschützen!) 15 Menschen ermordete und 11 weitere verletzte. Wenn man sich die Übersichtskarte über die seit 1991 in Deutschland von Sportschützen verursachten Todesfälle ansieht, erkennt man die Brisanz des Themas. Jetzt kommt ein weiteres Kreuz hinzu.


[Quelle: Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen!", PDF-Datei mit 962 kb]


Von Sportschützen hört man üblicherweise: "Nicht die Waffe tötet, sondern der Mensch." Will heißen, man könne den Sportschützen doch nicht die Waffen wegnehmen, die seien schließlich nicht schuld. Immer das gleiche dumme Geschwätz. Selbstverständlich schießen die Menschen, aber ohne die Verfügbarkeit der Sportwaffen würden viele Opfer noch leben, weil dann spontane Tötungen unterblieben wären. Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) will großkalibrige Waffen verbieten. Doch warum nicht gleich alle Schusswaffen, denn man kann auch mit Kleinkaliberwaffen Menschen ermorden? Für die sportlichen Ambitionen der Sportschützen reichen Luftdruckwaffen meiner Meinung nach vollkommen aus.

Was wird passieren? Es gibt im Fernsehen nach der Tagesschau vielleicht einen Brennpunkt. Im Pressewald wird es in den nächsten acht Tagen ein bisschen rauschen. Gravierende Folgen hat der neue Fall jedoch keine. Schon jetzt melden sich die üblichen Verharmloser: Hans-Ulrich Rülke, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Stuttgart "warnte vor 'reflexhaften Forderungen'. Sportschützen und Jäger dürften nicht kriminalisiert werden". [2] Ja, ja, Herr Rülke, Menschen dürfen normalerweise auch nicht erschossen werden. Das hat ihnen allerdings nicht viel geholfen. Außerdem haben Politiker schon immer gefordert, Sportschützen und Jäger nicht zu kriminalisieren und keinesfalls unter Generalverdacht zu stellen, etwa hier und hier. Das ist in solchen Fällen das klassische Ablenkungsmanöver.

Der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Baden-Württembergs, MdB Hartfrid Wolff, wiegelt ebenfalls ab: "Statt Symbolpolitik zu machen mit Forderungen nach der Verschärfung des Waffenrechts, sollte die grün-rote Landesregierung sich besser um nachhaltige Strategien zur Bekämpfung dieser Gewaltphänomene kümmern. (…) Das Großkaliberverbot bringt keinerlei Mehr an Sicherheit, denn die Differenzierung nach Kalibergrößen ist irrelevant hinsichtlich der tödlichen Wirkung dieser Waffen. Statt Symbolpolitik brauchen wir eine Kultur des Hinsehens und wirksame Konzepte der Vereins- und Sozialarbeit. Grün-Rot muss mehr in Bildung, wirksame Sozialarbeit und in Kriminalpräventions-Forschung investieren." [3] Mit Verlaub, das ist Schwachsinn. Was soll bei durchgeknallten Sportschützen eine "Kultur des Hinsehens", "Sozialarbeit" und "Kriminalpräventions-Forschung" bewirken? Der 71-jährige Sportschütze in Dossenheim hat nach Auskunft der Heidelberger Kripo "bisher völlig unauffällig gelebt". Doch in seiner unbändigen Wut gab er insgesamt 17 Schüsse ab. Nur in einem hat Wolff recht: Das Großkaliberverbot bringt tatsächlich kein Mehr an Sicherheit, deshalb sind konsequenterweise auch Kleinkaliberwaffen zu verbieten.

Hardy Schober vom Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden sieht es richtig: "Hätte er keinen Zugriff auf die Waffe gehabt, wäre es nicht zu der Tat gekommen." [4] Alles andere ist bloß Gelaber. Aber außer Gelaber ist bislang trotz der zahlreichen Amokläufe nichts passiert. Schober hat es im vorigen Jahr prophezeit: "Bleibt das Waffengesetz so, kommt ein neuer Amoklauf." [5]

Zugegeben, das Waffenrecht wurde verschärft. Doch grundsätzlich hat sich, wie man am aktuellen Fall sehen kann, nichts verändert. Die Politik weigert sich nach wie vor, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Warum, liegt auf der Hand: "Nach Angaben des Deutschen Schützenbundes sind in rund 15 000 Vereinen etwa 1,4 Millionen Sportschützen registriert." [6] Ein enormes Wählerpotenzial, mit dem es sich keiner verscherzen will. Demnächst stehen ja Bundestagswahlen und in Bayern und Hessen Landtagswahlen an. Eigentlich wird immer irgendwo gewählt. Die Sportschützen sind sich ihrer Wählermacht bewusst.

Folglich wird auch diesmal nur geredet und rein gar nichts passieren. Bis zum nächsten Amoklauf, bis zu den nächsten Toten, die ein Sportschütze auf dem Gewissen haben wird. Und die Politiker sind ebenfalls mitschuldig. Schuld durch Unterlassung. Wenigstens das können sie nicht abstreiten - wenn sie schon nichts tun.

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[1] siehe Immer diese Sportschützen vom 20.09.2010 und Bedauerliche Einzelfälle und extrem selten vom 21.07.2012
[2] SWR vom 21.08.2013
[3] FDP Baden-Württemberg vom 21.08.2013
[4] Stern.de vom 21.08.2013
[5] Focus-Online vom 23.05.2012
[6] Mittelbayerische Zeitung vom 21.08.2013