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08. Januar 2018, von Michael Schöfer
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist Murks

Das wäre nun wirklich das Tüpfelchen auf dem i, wenn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dafür gesorgt hätte, dass Twitter einen Tweet von Bundesjustizministers Heiko Maas löscht. Maas bezeichnete im Jahr 2010 Thilo Sarrazin als "Idiot". Der gesetzgeberische Murks würde prompt auf seinen Urheber zurückfallen. Und das kurz nach seinem Inkrafttreten. Doch noch ist unklar, wer für die Löschung des Tweets verantwortlich ist.

Dass es nicht die Aufgabe von Privatunternehmen ist, die Beiträge ihrer Nutzer zu zensieren, war eigentlich von vornherein klar. Und ebenso, dass die Unternehmen angesichts horrender Strafen eher zum voreiligen Löschen neigen würden. Laien sollen darüber entscheiden, was ein offensichtlich rechtswidriger Inhalt ist und das Gesetz listet hierzu auch einzelne Straftatbestände auf. Bleiben wir einmal bei der Beleidigung (§ 185 StGB). Wenn Heiko Maas besagten Thilo Sarrazin als "Idiot" bezeichnet oder meinetwegen der amerikanische Außenminister Rex Tillerson seinen Chef einen "Trottel" nennt, so kann das wohl eine Beleidigung sein. Allerdings ist die Beleidigung gemäß § 194 StGB ein reines Antragsdelikt. Das heißt, sie wird nur verfolgt, wenn die so titulierte Person sich auch beleidigt fühlt und eine Anzeige erstattet.

Es bleibt vorerst offen, ob sich Thilo Sarrazin an Twitter gewandt hat oder eine Strafanzeige gestellt hat. Wie viele andere Paragraphen des Strafgesetzbuches ist auch die Beleidigung mitunter eine diffuse Angelegenheit. Im Schwabenland gilt "Seggl" (Idiot) nicht immer als Beleidigung, sondern kann durchaus anerkennend gemeint sein. Mitunter, je nach Kontext, wird nämlich Seggl im Schwabenland so verstanden wie das bayerische "a Hund is er scho", was dort genauso wenig als Beleidigung aufgefasst wird, sondern ebenfalls einen Ausdruck von Anerkennung darstellt. Aber Achtung: Einen Polizeibeamten als "Hund" zu bezeichnen, wird von diesem selten goutiert - selbst wenn es ein bayerischer Polizist sein sollte. Die divergierenden Urteile zu bekannten Fällen (etwa das "Soldaten sind Mörder"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts inklusive der Vorgeschichte) spiegeln die Unsicherheit von Juristen wider. Und wenn schon Juristen oft uneins sind, ob der Tatbestand der Beleidigung erfüllt ist, können Laien noch viel weniger sicher sein. Außerdem sind Eingriffe in den politischen Meinungskampf besonders heikel. Und wenn etwas ziemlich streng nach Zensur riecht, dann ist es meist auch Zensur.

Dass nun ausgerechnet Heiko Maas von seinem eigenen Gesetz betroffen sein könnte, ist an Ironie eigentlich kaum zu überbieten.