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06. Juli 2019, von Michael Schöfer
Kein Wunder, dass wir über die Enteignung diskutieren


Die Gesetze bevorteilen eindeutig die Vermieter. Nehmen wir an, ich wohne seit Jahrzehnten in der gleichen Wohnung und es hat sich an ihr in dieser Zeit überhaupt nichts verändert. Vermutlich ist der Baukredit längst getilgt. Der Vermieter darf trotzdem in gewissen Abständen die Miete erhöhen, bloß weil vergleichbare Wohnungen in der gleichen Gemeinde teurer vermietet werden. Das bestimmt § 558 BGB (Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete). Eigentlich kurios: Ein mir völlig unbekannter Mensch zahlt für seine neu angemietete Wohnung mehr Miete als der Vormieter - und ich muss das dann irgendwann auch. Was hat meine Mietwohnung mit der Mietwohnung des anderen zu tun? Nichts, die ortsübliche Vergleichsmiete ist lediglich ein juristisches Konstrukt, das Mieterhöhungen ermöglicht. Ich kenne weder die Vermieter anderer Wohnungen noch deren Mieter, ich kenne nicht einmal die Wohnungen selbst. Dennoch muss ich zahlen. Dass auch Vermieter leben wollen und steigende Kosten zu tragen haben, ist mir schon klar. Aber warum ist die Entwicklung der Mieten nicht mit dem ortsüblichen Einkommen gekoppelt? Der Medianwert für die Neu- und Wiedervermietungsmieten ist dem Ökonom Friedrich Breyer zufolge in Berlin von 2010 bis 2017 um satte 67,8 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Berliner aber nur um 13,9 Prozent gestiegen. Vollkommen irrelevant, sagt der Gesetzgeber, Maßstab ist die ortsübliche Vergleichsmiete. Punkt. Kein Wunder, wenn wir angesichts dessen über die Enteignung von Wohnungsunternehmen diskutieren.