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29. Februar 2020, von Michael Schöfer
Neigen wir wegen Corona zu Hysterie?


Wegen dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) werden in einigen Ländern ganze Ortschaften von der Außenwelt abgeriegelt, in Deutschland stehen zumindest Hunderte unter Hausquarantäne. Die Börsenkurse brechen ein, weil Lieferketten bedroht oder bereits unterbrochen sind, man befürchtet mittelfristig massive Produktionsausfälle. Viele Fluggesellschaften reagieren notgedrungen mit Sparprogrammen. Die Medien berichten über Corona rauf und runter, man kann dem Thema kaum noch entgehen und wird der zum Alarmismus neigenden Berichterstattung langsam überdrüssig.

Natürlich ist es ratsam, beim erstmaligen Auftreten eines neuen Erregers vorsichtig zu reagieren, allerdings erscheint mir die Aufregung um das Coronavirus inzwischen reichlich übertrieben. Ich will ja nicht gleich von Entwarnung reden, aber die Mortalitätsrate ist keineswegs so hoch, wie anfangs befürchtet. Orientieren wir uns an den Fakten: In China sind 3,5 Prozent von insgesamt 78.824 Erkrankten gestorben, in Italien waren es 2,6 Prozent von 655 und in Südkorea 0,6 Prozent von 2.022 (Stand: 28.02.2020, 09:00 Uhr). [1] Das Bild ist jedoch unvollständig, weil man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss - also von Infizierten, die in der Statistik überhaupt nicht auftauchen. Über Letztere kann man naturgemäß nur spekulieren, aber wenn die Dunkelziffer zehnmal so hoch ist wie die Zahl der Erkrankten, relativiert das die Mortalitätsrate enorm.

"Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) tödlicher als die Grippe. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Grippe zu sterben, liege bei 0,1 bis 0,2 Prozent, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Nach den bisher bekannten Zahlen liegt die Rate beim Virus Sars-CoV-2 fast zehnmal so hoch - bei ein bis zwei Prozent." [2] Die Betonung liegt bei: "nach den bisher bekannten Zahlen". Eine hohe Dunkelziffer unterstellt, könnte die Mortalitätsrate von Corona durchaus der der Influenza nahekommen.

Bei der Grippewelle 2017/18 starben hierzulande nach Angaben des RKI rund 25.100 Menschen. Ähnlich viele Grippetote waren auch in anderen Jahren zu beklagen: In der Wintersaison 1995/1996 gab es - vorsichtig geschätzt - etwa 24.900 zusätzliche Todesfälle, 2008/2009 waren es 18.800, 2012/2013 waren es 20.700, 2014/2015 waren es 21.300 und 2016/2017 waren es 22.900. [3] In der aktuellen Wintersaison gab es in Deutschland schon 161 Grippetote (Stand: 21.02.2020), während bislang kein einziger am Coronavirus gestorben ist.

Gab es wegen einer normalen Grippewelle jemals Börseneinbrüche, abgesagte Veranstaltungen oder Geisterspiele im Fußball? Sind mutmaßlich mit Influenza infizierte Menschen jemals zu Hunderten in Hausquarantäne gesteckt oder sogar ganze Ortschaften von der Außenwelt abgeriegelt worden? Ich kann mich nicht erinnern, es wurde jedenfalls in den Medien nichts dergleichen berichtet. Bitte nicht falsch verstehen: Vorsicht ist zweifellos geboten, dennoch erscheinen die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus angesichts der Fakten aus heutiger Sicht überzogen. SARS-CoV-2 ist offenbar kein Todesengel, der mit Killerviren wie zum Beispiel Ebola vergleichbar ist (laut WHO gab es bei den großen Ebola-Ausbrüchen der Jahre 2014-2016 eine Mortalitätsrate zwischen 28 und 67 Prozent). [4] Deshalb sollte man die Corona-Erregungsstufe ein bisschen senken. Wenn jetzt Atemschutzmasken, die nach Ansicht von Experten ohnehin kaum helfen, nahezu ausverkauft sind, darf man mit Fug und Recht von hysterischen Zuständen sprechen. Was passiert dann erst, wenn wir es wirklich mal mit einer massenhaft todbringenden Epidemie zu tun bekommen?

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[1] Statista vom 28.02.2020
[2] Ärzteblatt vom 27.02.2020
[3] Robert-Koch-Institut vom 19.01.2015, PDF-Datei mit 306 KB (Angaben für 1995/1996) und Robert-Koch-Institut 2019, PDF-Datei mit 7,6 MB
[4] WHO vom 20.02.2020