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16. Juli 2021, von Michael Schöfer
Das ist erst der Anfang


Wir sind eine ziemlich merkwürdige Spezies. Der erste Mensch, der das Rad erfand, wurde von seinen Zeitgenossen bestimmt ausgelacht. "Was willst Du denn damit", bekam er wahrscheinlich zu hören, "das ist doch zu nichts nütze". Und als vor rund 12.000 Jahren am Ende des Pleistozäns Menschen erstmals den amerikanischen Kontinent besiedelten und sich sogleich an die Ausrottung der dort lebenden Großtierarten machten, mag es den ein oder anderen gegeben haben, der etwas weiter dachte und das zerstörerische Treiben missbilligte. Aber auch ihn hat man im günstigsten Fall ausgelacht, vielleicht sogar für verrückt erklärt. Doch wer weiß schon, was sich damals zugetragen hat, denn davon ist nichts überliefert. Heute brettern wir jedenfalls mit vier Rädern über die Autobahn und sind drauf und dran, das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte in die Tat umzusetzen.

Die Torheit ist also keineswegs auf den prähistorischen Menschen beschränkt, der moderne Homo sapiens unterscheidet sich von ihm leider nur marginal. "Wenn die Emission der 'wärmeisolierenden Spurengase' nicht 'ab sofort' drastisch verringert werde, (...) komme es 'vermutlich schon in ein bis zwei Jahrzehnten' zu gravierenden Klimaveränderungen mit gefährlichen Folgen für die Erdbevölkerung", zitierte "Der Spiegel" im Jahr 1986 Physiker der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. [1] Markantes Titelbild: Der halb im Meerwasser versunkene Kölner Dom. 1986 war übrigens das Jahr, in dem laut "Auto Bild" der neue 7er-BMW "neue Maßstäbe in der automobilen Luxusklasse" setzte: "Fahrspaß" mit einem Durchschnittsverbrauch von 11,4 Liter/100 km (Werksangabe).

Ein paar Jahre später warnte Greenpeace eindringlich vor dem, was wir momentan erleiden: "Eine zunehmende Erwärmung der Oberfläche wird zu erhöhter Verdunstung und damit zu - im globalen Durchschnitt - mehr Niederschlägen führen. Trotz dieser Zunahme könnte es in einigen Regionen durchaus zu einer Abnahme der Regenfälle kommen. (…) Eine Klimaveränderung wird wahrscheinlich eine wachsende Zahl von Katastrophen nach sich ziehen." [2] "Schwarzmaler, Apokalyptiker, Fortschrittsfeinde", mussten sich die Warner vor der Klimakatastrophe anhören. Die Ökologen wollten angeblich zurück in die Steinzeit.

for Space Studies, GLOBAL Land-Ocean Temperature Index]

Und nun? Die CO2-Emissionen haben inzwischen drastisch zugenommen (von 1986 bis 2020 um 63 %), die globale Durchschnittstemperatur ist folglich dramatisch gestiegen und die Wetteranomalien sind zahlreicher geworden. Die USA erlebten Anfang 2021 einen historischen Wintereinbruch mit Kälterekorden von bis zu minus 39 Grad. In Dallas/Texas, wo die Tiefsttemperatur im Februar im langjährigen Durchschnitt plus 4 Grad Celsius beträgt, sank die Quecksilbersäule am 16. Februar auf minus 17 Grad. Ein halbes Jahr danach gab es wiederum im Westen der USA und in Kanada Hitzerekorde mit bis zu 54,4 Grad. In Deutschland plagte uns 2002 das "Jahrhunderthochwasser", dem 2003 der "Jahrhundertsommer" folgte. In den Jahren 2018 bis 2020 machte Deutschland die extreme Dürre zu schaffen, jetzt ist eine "Flutkatastrophe von historischem Ausmaß" (Armin Laschet) über uns hereingebrochen. Eigentlich genau das, was die Wissenschaft seit langem vorhergesagt hat: Die Wetterextreme werden häufiger und intensiver.

Statistical Review of World Energy - all data, 1965-2020]

Wie reagiert der Homo sapiens? Hierzulande kämpft er standhaft gegen Windräder und wählt mehrheitlich Parteien, die wenig vom Tempolimit und dem Verbot des Verbrennungsmotors halten. Zumindest noch. Doch unabhängig davon kann man prophezeien: Es beginnt erst, die Katastrophen von heute sind bloß der Anfang, es kommt voraussichtlich noch schlimmer. Viel, viel schlimmer. Wenn wir nicht rasch umsteuern, müssen wir uns gezwungenermaßen an solche Bilder wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gewöhnen. Der Mensch hat die Möglichkeit, den Klimawandel abzumildern, doch dazu muss er seine Ignoranz, Lethargie und Bequemlichkeit besiegen. Tut er das nicht, besiegt die Natur ihn.

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[1] Der Spiegel 33/1986 vom 10.08.1986
[2] Greenpeace, Global Warming, deutsche Ausgabe: München 1991, Seite 99 und 223