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15. August 2021, von Michael Schöfer
Eine Äquidistanz kann und darf es nicht geben


Wer sich das Verhalten des modernen China ansieht, dem schwant nichts Gutes. Man kann ja durchaus geteilter Meinung sein, ob die Huawei-Managerin Meng Wanzhou in Kanada zu Recht in Auslieferungshaft (Hausarrest) sitzt. Entscheidende Frage: Kann man als chinesische Staatsbürgerin auf chinesischem Staatsgebiet wirklich gegen die US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen? Anders formuliert: Haben US-Gesetze weltweit Gültigkeit, müssen sich daher auch die Bürger anderer Staaten an sie halten? Daran darf man mit Fug und Recht zweifeln. Nationale Gesetze gelten normalerweise nur auf dem Hoheitsgebiet des Staates, der sie erlassen hat. Und im Ausland nur für dessen Bürger. Wie China auf diese Anmaßung reagiert, steht allerdings auf einem anderen Blatt und löst größte Besorgnis aus.

Die Volksrepublik antwortet nämlich mit Geiseldiplomatie. "Peking will mit den harten Urteilen gegen zwei unschuldige Kanadier eine Huawei-Managerin freipressen. (…) Die beiden Kanadier sind nicht mehr als Zufallsopfer. Der Vorwurf der Spionage und Beschaffung von Staatsgeheimnissen - frei erfunden." [1] Sie wurden in Isolationshaft gehalten und der Prozess verlief weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein faires Verfahren? Fehlanzeige! Das chinesische Außenministerium weist jeden Zusammenhang zurück, hält es aber trotzdem für angebracht, Kanada arrogant Belehrungen zu erteilen: "Es ist am dringlichsten, dass Kanada seine Fehler korrigiert, Frau Meng freilässt und ihr erlaubt, nach China zurückzukehren." [2]

Ist China noch kommunistisch? Was die Wirtschaft angeht sicherlich nicht, obgleich dort keine rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen existieren. Kommunistisch anmutend ist freilich die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei. Unter Xi Jinping hat sich das "Reich der Mitte" zu einem totalitären Überwachungsstaat entwickelt, der mit den Menschenrechten auf Kriegsfuß steht (etwa in Bezug auf die Uiguren in Xinjiang), sich nicht ums Völkerrecht schert (siehe die territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer oder die Willkürherrschaft in Hongkong) und zunehmend aggressiv auftritt (z.B. gegenüber Taiwan, dem wirklich demokratischen China). Die Pekinger Despoten schüren in der Bevölkerung bewusst das nationale Überlegenheitsgefühl, das für die chinesische Zivilisation schon von jeher charakteristisch war. Die anderen sind in den Augen der Chinesen immer "Barbaren" gewesen, deren Absicht es war, China gewaltsam auszurauben und zu demütigen.

Gewiss, das kennen wir auch aus unserer eigenen Geschichte, schon bei den alten Griechen wurden Menschen, die kein Griechisch sprachen, als "Barbaren" bezeichnet. Ein Synonym für "unzivilisierte und ungebildete Menschen". Für die Römer waren die Germanen "Barbaren", die wiederum später für Slawen bloß Geringschätzung übrig hatten. Es gehört offenbar zur menschlichen Natur, sich selbst zu überhöhen, indem man andere systematisch abwertet. Der nationale Überschwang endet aber oft in der Hybris, einer extremen Form der Selbstüberschätzung. Man glaubt, warum auch immer, anderen haushoch überlegen zu sein, was dann am Ende häufig in eine totale Niederlage mündet. Es stellt sich nämlich nicht selten heraus, dass die eigene Überlegenheit lediglich unbegründeter Hochmut war - und der kommt bekanntlich vor dem Fall. So eine nationale Hybris, die unsägliche Verbrechen hervorgebracht hat, haben beispielsweise die Deutschen 1945 bitter büßen müssen.

Wir sollten unsere Naivität gegenüber China ablegen, denn das Land ist kein Partner, sondern ein gefährlicher Rivale, der nach der Weltherrschaft greift. Das Prinzip "Wandel durch Handel" ist gescheitert, wir müssen deshalb unsere ökonomischen Beziehungen mit Peking dringend überdenken. Es ist absolut kontraproduktiv, die Chinesen ökonomisch immer stärker werden zu lassen. Niemand wünscht sich einen Krieg gegen China, aber eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China wird leider immer wahrscheinlicher. Und es sollte sich von selbst verstehen, wo in diesem Konflikt das demokratische Europa zu stehen hat: natürlich auf der Seite der Vereinigten Staaten. Eine Äquidistanz im Interesse unserer Handelsbeziehungen kann und darf es nicht geben. Durch Wegducken würde sich Europa nicht retten, sondern endgültig in die politische Bedeutungslosigkeit hineinmanövrieren.

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[1] Süddeutsche vom 11.08.2021
[2] Süddeutsche vom 11.08.2021