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07. September 2023, von Michael Schöfer
Vielleicht sollte man einfach aufgeben


Die Hoffnung schwindet immer mehr: Der Mensch ist anscheinend unfähig, die auch für ihn lebensnotwendige Ökosphäre zu bewahren. Trotz Rekordtemperaturen, trotz katastrophalen Waldbränden, trotz sintflutartigen Regenfällen und trotz fortschreitendem Artensterben kaufen die Menschen Autos wie wild: In Deutschland hat der Pkw-Bestand im Jahr 2022 mit 48,8 Millionen eine Rekordmarke erreicht. 27 Prozent der Haushalte besitzen zwei Pkw, 6,2 Prozent sogar drei oder mehr. Man gönnt sich ja sonst nichts. Oh, Verzeihung, natürlich noch eine Klimaanlage. Die muss sein, wegen der Hitze, Sie verstehen…

Die Politik kann man weitgehend vergessen, selbst unter Winfried Kretschmann (Grüne) gingen laut Bundesnetzagentur 2023 in Baden-Württemberg bislang lediglich 16 Windkraftanlagen ans Netz (Stand 17.08.2023), dabei sollten dort bis zur Landtagswahl in drei Jahren 1.000 neue Windräder hinzukommen. Geschwätz, nichts als leeres Geschwätz! Es ist ernüchternd, auch Kretschmann glänzt - ebenso wie Markus Söder im benachbarten Bayern - gerne mit großspurigen Ankündigungen, fällt aber beim Handeln stark zurück. Zum Ausgleich werden die Klimaaktivisten kriminalisiert, also die, die sich mit Straßenblockaden dem drohenden Untergang entgegenstemmen. Und der Terminus "Untergang" ist durchaus berechtigt, ob man es wahrhaben will oder nicht.

Wir erleben anscheinend gerade das Umkippen des Klimas, so schlimm wie 2023 war es noch nie. 2024 verspricht nicht zuletzt wegen El Niño kaum besser zu werden. Die Gletscher schwinden immer schneller, die Ausdehnung des Meereises ist so gering wie noch nie, was das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes begünstigt. Das Schmelzwasser des grönländischen Eispanzers könnte den Golfstrom abschwächen oder zum Erliegen bringen. Noch schlimmer: Das Auftauen des Permafrosts erzeugt einen positiven Rückkopplungseffekt: Mehr Wärme in der Atmosphäre bringt den Permafrost zum Schmelzen, die dadurch freigesetzten Treibhausgase erwärmen das Klima noch mehr, was wiederum den Permafrost stärker abschmelzen lässt. Unter Umständen erhitzt der auftauende Permafrost das Klima selbst dann, wenn die Menschheit - was derzeit vollkommen unrealistisch erscheint - gar keine Treibhausgase mehr emittiert.

Man mag sich gar nicht ausmalen, wohin das führen wird. Fest steht jedenfalls: Das Überleben der Menschheit, so wie wir sie heute kennen, steht massiv in Frage. Man sollte realistisch sein: Das Klimaziel von Paris kann man wohl endgültig vergessen, der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt momentan unaufhaltsam an, dabei müsste er stark sinken. Von der vielbeschworenen Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts ganz zu schweigen. Alles andere ist Augenwischerei. Und was machen wir? Wir kaufen Autos! Ja, echt! Obendrein in der Mehrzahl auch noch Verbrenner. Am allerliebsten, beispielsweise im August 2023 zu 33,8 Prozent, die großkotzigen SUVs - die Blech gewordenen Dinosaurier unserer Tage. Und bei der IAA in München tanzen wir dann enthusiastisch ums goldene Kalb.

Man könnte nachvollziehen, wenn sich außerhalb der üblichen Verdächtigen langsam Panik breit machen würde, aber davon ist überhaupt nichts zu spüren. Still ruht der See. Ich sage es so drastisch, wie ich die Lage einschätze: Die Menschheit als Kollektiv verhält sich wie ein ignoranter Trottel. Und was macht die Evolution gemeinhin mit unangepassten Spezies? Genau, sie lässt sie aussterben. Langsam, aber sicher. Manchmal sogar in einem plötzlichen Kollaps. Bestenfalls dürfen sie dann noch in Nischen ihr kümmerliches Dasein fristen. Vielleicht sollte man wirklich einfach aufgeben, stattdessen auf der Titanic ein bisschen Party feiern. Wenn ich mir die Realität auf diesem geschundenen Planeten ansehe und wie die Menschen miteinander umgehen, beschleicht mich gelegentlich der Gedanke: Vielleicht ist sie es auch nicht wert, zu überleben.