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10. September 2023, von Michael Schöfer
Wie lange wird Bremen überleben?


Welcher Anteil vom Staatsgebiet der Niederlande liegt unter dem Meeresspiegel? Das herauszufinden sollte eigentlich ziemlich leicht sein, aber diese Annahme ist leider falsch, denn bei einer Recherche im Netz stößt man auf unterschiedliche, nicht unerheblich voneinander abweichende Angaben: Ein Fünftel (20 Prozent), rund ein Viertel (25 Prozent), etwa ein Drittel (33 Prozent), zwei Fünftel (40 Prozent) oder fast die Hälfte (50 Prozent). Was ist richtig? [1] Selbst der altehrwürdige Brockhaus scheiterte bei der doch recht simplen Aufgabe, die Größe Deutschlands korrekt anzugeben. [2]

Zumindest amtliche Angaben sollten verlässlich sein, aber das ist bedauerlicherweise ebenfalls ein Irrglaube. Im Statistischen Jahrbuch stehen ausgewählte Ortshöhenlagen, also wie hoch ein bestimmter Ort über dem Meeresspiegel liegt. Im Statistischen Jahrbuch 2011 wird für Bremen (Durchschnitt des Ortskerns) eine Höhe von 3 m über Normal-Null angegeben. [3] Doch Bremens Ortskern hat sich auf wundersame Art und Weise im Nu gehoben, denn im Statistischen Jahrbuch 2012 stehen plötzlich 11 m über Normal-Null. [4] So ist es bis heute beim Statistischen Bundesamt zu lesen.

Natürlich kann es bei Neuberechnungen durch präzisere Messmethoden durchaus Abweichungen geben, aber ein Höhenunterschied von immerhin acht Metern ist ohne gravierende tektonische Veränderungen schlechterdings unmöglich. Nur ist davon bislang nichts bekannt. 1993 wurde hierzulande die Bezeichnung Normalhöhennull (NHN) eingeführt und hat die seit 1879 gebräuchliche Bezeichnung Normal-Null (NN) abgelöst, doch die dadurch entstandenen Abweichungen bewegten sich bloß im Zentimeter- oder Millimeterbereich. Und im Gegensatz zu Bremen wird die Ortshöhenlage für Hamburg durchgängig mit 6 m angegeben.

Bremen wurde erstmals 782 urkundlich erwähnt, kann also auf eine ziemlich lange Geschichte von mehr als 1200 Jahren zurückblicken. In Zeiten des Klimawandels und dem daraus resultierenden Anstieg des Meeresspiegels ist allerdings höchst unsicher, ob die Stadt weitere 1200 Jahre erleben wird. Der Eisverlust der antarktischen und grönländischen Eisschilde ist nämlich so massiv, dass der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um bis zu 2,72 m steigen könnte. [5] Das ist schon in 77 Jahren, und der Anstieg ist dann ja keineswegs beendet. So gesehen ist die tatsächliche Höhe (3 oder 11 m über dem heutigen Meeresspiegel) keineswegs irrelevant. Im Gegenteil, der Unterschied ist für die Stadt überlebenswichtig.

Ich habe beim Statistischen Bundesamt nachgefragt, wie es zu dieser nicht unerheblichen Abweichung kam und welche Zahl nun wirklich richtig ist. Die Antwort werde ich nachreichen.

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[1] siehe Gesunde Skepsis notwendig vom 27.02.2008
[2] siehe Deutschland wächst! vom 24.04.2008
[3] Statistische Bibliothek, Statistisches Jahrbuch 2011, Seite 21, PDF-Datei mit 17,8 MB
[4] Statistische Bibliothek, Statistisches Jahrbuch 2012, Seite 15, PDF-Datei mit 19,1 MB
[5] Scinexx vom 23.04.2023

Nachtrag (02.10.2023):
Das Statistische Bundesamt führt keine eigenen Messungen durch und verwies mich ans Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG), das aber ebenfalls nicht aufklären konnte, wie es zu dieser beachtlichen Höhendifferenz von 8 m gekommen ist. Es sei heute nicht mehr nachvollziehbar, mit "welchen Daten und auf welche Art und Weise die Höhen berechnet wurden". Insofern bleibt für den interessierten, aber auf Genauigkeit achtenden Bürger vorerst offen, ob Bremen 3 oder 11 m über dem Meeresspiegel liegt. Hoffentlich wissen wenigstens die Bremer Stadtplaner Bescheid, damit sie sich rechtzeitig um geeignete Schutzmaßnahmen bemühen. Fatal wäre, wenn sie von vermeintlich beruhigenden 11 m ausgingen, während es in Wahrheit nur 3 m sind.