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11. Oktober 2023, von Michael Schöfer
Es ist so ermüdend


Wegen dem schrecklichen Terrorangriff der Hamas auf Israel häufen sich derzeit die Forderungen, sämtliche Geldzahlungen der Europäer an die Palästinenser zu streichen. Nur zu, wer demnächst auch im Westjordanland die gleichen Verhältnisse wie im Gazastreifen haben will, die Herrschaft der Hamas, muss dazu natürlich zuvor der Palästinensischen Autonomiebehörde jegliche Unterstützung verwehren. Das könnte der ohnehin angeschlagenen Position der PLO von Mahmud Abbas den Todesstoß versetzen, wäre aber unter Sicherheitsaspekten kontraproduktiv, weil ein durch den Kollaps der Palästinensischen Autonomiebehörde hervorgerufenes politisches Vakuum dann eben andere füllen. Dass es angenehmere Zeitgenossen sind, ist zu bezweifeln.

Die Weltgemeinschaft muss begreifen, dass der Nahostkonflikt nur politisch gelöst werden kann. Und das Palästinenserproblem ist bei jeder denkbaren Friedenslösung der zentrale Punkt - Abraham-Abkommen hin oder her. Im Westjordanland und Ostjerusalem leben 3,1 Millionen Palästinenser, aber die verschwinden ja nicht im Nirvana, selbst wenn die rechtsgerichtete israelische Regierung tatsächlich nach Ostjerusalem auch noch das Westjordanland annektieren sollte. Israel wird diesen 3,1 Millionen Menschen selbstverständlich keine Staatsbürgerrechte (Wahlrecht) gewähren, denn das würde die politische Arithmetik des jüdischen Staates gehörig durcheinanderwirbeln.

Was glauben wir eigentlich? Dass diese Menschen ein Leben ohne politische Rechte und ohne Selbstbestimmungsrecht einfach so akzeptieren? Dass sie sich in ihrem eigenen Land mit den Brosamen begnügen, den ihnen die israelischen Siedler übriglassen? Weiterer Terror wäre die unausweichliche Folge (was ihn dennoch nicht rechtfertigt). Das Schicksal der rund zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen ist angesichts der aktuellen Ereignisse unsicherer denn je.

Es ist so ermüdend, mit Blick auf den Nahostkonflikt immer das Gleiche zu schreiben: Der Grundfehler ist, das berechtigte Interesse der einen Seite anzuerkennen, aber gleichzeitig das berechtigte Interesse der anderen Seite zu ignorieren. Und der Konflikt wird andauern, solange beide Seiten ihre Maximalpositionen durchsetzen wollen. Die politische Lösung kann nur auf den Regeln des Völkerrechts basieren, womit man automatisch zur Zwei-Staaten-Lösung gelangt. Wer einen anderen Ausweg weiß, der nicht die politische (und damit auch militärische) Unterdrückung von Millionen Arabern beinhaltet, lege ihn bitte auf den Tisch. Der bisherige Verlauf der Konfrontation hat jedenfalls auf beiden Seiten bloß die Radikalen gestärkt. Vom wachsenden Einfluss des Regimes im Iran ganz zu schweigen.

Der Nahostkonflikt ist der Gordische Knoten unserer Zeit, nur ist er halt nicht mit einem Schwerthieb zu entwirren. Jitzchak Rabin wusste: Militärische Lösungen sind nur Scheinlösungen, weil sie den politischen Konflikt zwar für einige Zeit unter den Teppich zu kehren vermögen, ihn aber nicht endgültig beseitigen können. Ab und an lugt dann unter dem Teppich die hässliche Fratze des Terrors hervor. Doch der Friedensprozess kam mit seiner Ermordung durch einen rechts-religiösen Juden abrupt zum Stillstand. Ein halbes Jahr danach wurde ein gewisser Benjamin Netanjahu zum ersten Mal israelischer Ministerpräsident.