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19. Juni 2019, von Michael Schöfer
Wenn das parteipolitische Unabhängigkeit ist, sind Pinguine Flugkünstler


Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), ist bekanntlich ein Freund schneller, aber deshalb leider auch oft unausgereifter Äußerungen. Man tut ihm gewiss nicht unrecht, wenn man ihn am rechtskonservativen Rand der Union verortet. Mit Angela Merkels Politik hat er es nicht so, Wendt nennt sie auf seiner Facebook-Seite beispielsweise "Zeitgeistkanzlerin" [1], während er Horst Seehofer natürlich vor "übler Hetze" in Schutz nimmt [2]. Und den selbst in der CDU umstrittenen Hans-Georg Maaßen schätzt er sehr. [3]

Wenn es gegen Journalisten geht, beklagt Wendt: "Niemand recherchiert, keiner prüft die 'Quelle' - einer schreibt auf und alle anderen schreiben ab." [4] Recht hat er, man sollte unbedingt recherchieren, bevor man etwas lauthals hinausposaunt. Bedauerlicherweise hält er sich nicht an seine eigene Empfehlung. Ein Beispiel: Die Bild-Zeitung berichtete darüber, dass beim 70-jährigen Jubiläum der Luftbrücke keine historischen Rosinenbomber auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof landen durften. [5] Für Rainer Wendt natürlich ein Skandal: "Es ist eine Schande, auf welchem Niveau unsere Hauptstadt regiert wird. Und es ist eine Schande, dass es möglich ist, dass diesen tapferen Männern verweigert wird, mit den 'Rosinenbombern' auch zu landen. Die dafür Verantwortlichen sollten im hohen Bogen aus ihren Funktionen rausfliegen." [6] Berlins rot-rot-grüne Regierung sei unfähig.

Hätte sich Wendt an das gehalten, was er von anderen einfordert, nämlich vorher zu recherchieren, wäre er schnell auf das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (ThF-Gesetz) vom 14.06.2014 gestoßen, das in einem Volksentscheid beschlossen wurde. Und das Gesetz schließt nun mal aus, dass dort Flugzeuge landen dürfen, nicht einmal im Ausnahmefall. Der Bundesvorsitzende der DPolG, der sonst immer strikt auf dem Rechtsstaat und der Einhaltung von Gesetzen beharrt, hat offenbar nicht nachgeforscht. Hätte er es gewusst, hätte er dem Berliner Senat bestimmt empfohlen, das Gesetz einzuhalten und nicht zu brechen, denn in einem anderen Zusammenhang schreibt Wendt: "Gibt's nur in Deutschland, dass man 'mutig' genannt wird, wenn man auf die bestehende Rechtslage hinweist." [7] Und er wird ja wohl kaum der Meinung sein, dass man von der bestehenden Rechtslage abweichen kann, sofern es einem politisch gerade zupass kommt. Oder doch?

Die Berliner Innenstadt und das Regierungsviertel sind übrigens Flugbeschränkungsgebiete, laut § 17 Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO) fällt die Einstufung in die Zuständigkeit des Bundes. Durchfluggenehmigungen erteilt das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, das wiederum unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur steht. Letztlich ist also Rainer Wendts Parteifreund Andreas Scheuer (CSU) verantwortlich. Aber es ist eben leichter, von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt über eine politisch andersfarbige Landesregierung herzuziehen und ungeprüft von der Bild-Zeitung abzuschreiben.

Rainer Wendt sieht die Fehler gerne bei anderen, selten bei sich selbst: "Hier geht um die intellektuell ziemlich unterste Stufe gezielter Demagogik und Vereinfachung, die sich gezielt gegen eine Person, nicht gegen deren Positionen richtet", wirft er der etwa taz vor, die sich erlaubt hat, ihn und die DPolG zu kritisieren. [8] Doch was macht er selbst? Ein paar Kostproben:

"Okay, ich fasse zusammen: Kevin heiratet Greta, beide werden von Andrea adoptiert. Ralle wird Patenonkel des Nachwuchses. Habeck wird Kanzler, Mutti bleibt. Ideale Doppelspitze, sie im Ausland, er hier. Baerbock ist raus, sorry. Und jetzt ist doch auch das Klima wieder gut oder? Puh..." [9] Mit "Kevin" meint er wohl den Juso-Bundesvoritzenden Kevin Kühnert, mit "Greta" die Klimaaktivistin Greta Thunberg und mit "Andrea" vermutlich die ehemalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Mutti? Angela Merkel? Ralle? Ralf Stegner? Da kann ich nur raten. Sie merken hoffentlich, wie sehr sich der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft um einen sachlichen Ton bemüht. Leider misslingt ihm das noch öfter.

"Der kleine Kevin möchte aus seiner spätpubertären sozialistischen Krabbelgruppe für Berufsstudenten abgeholt werden. Aber vermutlich wird er eher in der nächsten GroKo Bundesminister für Volkserziehung oder Bundestagsvizepräsidentin auf Lebenszeit. Mich wundert nichts mehr." [10]

"Hmmm... Ralf Stegner freut sich über das Zuwanderungsgesetz. Ich gebe zu, ich hab's noch nicht gelesen. Aber kann nur Mist sein." [11] Mit Verlaub, das ist an intellektueller Armut kaum zu unterbieten. Helfen Sie mir mal: Wie nennt man Urteile, die schon vorher feststehen? Der Mann führt wirklich eine Polizeigewerkschaft? Also ein Zusammenschluss von Polizisten, die in ihrem beruflichen Alltag nach objektiven Fakten (Beweisen) suchen und subjektive Vorurteile möglichst ausblenden sollen. Unfassbar.

"Keine Ahnung, was man geraucht haben muss, um Grüne zu wählen. Sagt mir nur rechtzeitig Bescheid, wann Habeck und Konsorten an die Macht kommen, damit ich rechtzeitig verschwinden kann. Und von wo aus auch immer ich mir dann den organisierten Irrsinn anschaue, dort ist es besser." [12] Da fragt man sich unwillkürlich, was hat eigentlich Rainer Wendt geraucht? Wenn noch ein Grund gefehlt hätte, Grüne zu wählen, hier ist er. Dann sind wir ihn los.

"Sorry Leute, ich war kurz mal raus. AM ist jetzt Muslima und Weltkönigin, BER wird abgerissen und Berlin Provinz von Kuba, Greta ist Kanzlerin und Pöbel-Ralle unser neuer Präsi? Hab ich noch was verpasst? Warum regt mich nichts mehr auf..." [13] AM? Angela Merkel? Eine Sprache wie im Unterschichtfernsehen. Ist das seine Zielgruppe? "Pöbel-Ralle" benutzt übrigens auch AfD-Rechtsaußen Björn Höcke: "'Pöbel-Ralle' - so wird der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner in eingeweihten Kreisen nur noch genannt." [14] Nun ja, wer wie ich nicht zu den "eingeweihten Kreisen" gehört, steht da natürlich zunächst auf dem Schlauch. Gut, dass wenigstens Wendt und Höcke dazugehören. Momentan wird viel über die Verrohung der Sprache geredet... Ob sich Rainer Wendt davon beeindrucken lässt?

Selbstverständlich darf man über die angebliche "Greta-Hysterie" herziehen und über die "CO2-Steuer" bzw. "Greta-Steuer" spotten. Das bleibt ihm unbenommen, schließlich gilt hierzulande die Meinungsfreiheit. Was allerdings auffällt: Rainer Wendt mokiert sich zwar über all das, bringt aber selbst keine Argumente. Es wäre ja schön zu erfahren, was aus seiner Sicht an der Warnung vor den Folgen des Treibhauseffekts falsch ist oder welche Rezepte er dagegen hat. Doch die Auseinandersetzung damit sucht man zumindest auf seiner Facebook-Seite vergebens. Wendt äußert sich nur destruktiv, konstruktive Gedanken liest man von ihm diesbezüglich keine. Das ist für einen Gewerkschaftsvorsitzenden ziemlich dünn. Anders ausgedrückt: Ein bisschen Substanz kann nie schaden.

Immerhin in einem pflichte ich ihm bei: "Sagen, was man denkt. Wählen, wen man will. Selbst entscheiden, was man tut oder nicht. Man nennt es Freiheit." [15] In der Tat. Das gilt halt aber auch für Menschen, die die Grünen wählen (ohne dabei etwas geraucht zu haben). Wendt freut sich "über lebhafte, gerne auch kritische Kommentare" und will sich "um einen gepflegten, demokratischen Diskurs" bemühen. Diffamierungen mag er gar nicht. Ach, nähme er sich doch bloß selbst beim Wort.

Es wundert mich offen gesagt, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft den in meinen Augen äußerst polemischen Stil ihres Vorsitzenden toleriert. Ist das wirklich die Form der Auseinandersetzung, die die DPolG pflegt und als normal ansieht? Oha... Geht es nicht etwas niveauvoller? Und gibt es für die einseitigen politischen Positionen ihres Vorsitzenden überhaupt entsprechende Gewerkschaftsbeschlüsse? Oder darf Rainer Wendt (@DPolGRainerWendt) seine Privatmeinung kurzerhand der gesamten Gewerkschaft überstülpen? "Die DPolG (…) ist parteipolitisch unabhängig", steht in § 2 Abs. 2 ihrer Satzung. [16] Doch das glaubt keiner, der die Facebook-Seite von Wendt gelesen hat. Vielmehr erscheint die DPolG als Anhängsel der Union respektive sogar als Anhängsel des rechtskonservativen Teils der Union. Wenn das parteipolitische Unabhängigkeit sein soll, sind Pinguine Flugkünstler. Merkt die DPolG nicht, dass sie durch ihren Bundesvorsitzenden und den von ihm gepflegten unsachlichen Diskussionsstil andernorts in Verruf gerät?

"Wir haben eine Bundesleitung und einen Bundesvorsitzenden, die medial und politisch anerkannt, bestens vernetzt und gefragt sind", liest man im Leitartikel der aktuellen Gewerkschaftszeitung "Polizeispiegel". [17] Das Eigenlob mag vielleicht die Binnensicht der DPolG widerspiegeln, dürfte aber wohl kaum von der Mehrheit außerhalb der Gewerkschaft geteilt werden. Facebook wird oft zu Recht dafür kritisiert, per Algorithmus Filterblasen zu erzeugen. Bei der Facebook-Seite von Rainer Wendt zeigt das Soziale Netzwerk folgende Seiten als "ähnliche Seiten" an: Unter anderem die Facebook-Seite des AfD-Politikers Jörg Meuthen, die der AfD-Politikerin Alice Weidel, die des AfD-Politikers Gottfried Curio, die des AfD-Politikers Guido Reil und natürlich die der AfD selbst. Nette Gesellschaft. Gewiss, für die Einschätzung des Algorithmus von Facebook kann Rainer Wendt nichts, aber sie ist dennoch bezeichnend.

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[1] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 02.03.2019
[2] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 11.07.2018
[3] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 12.09.2018
[4] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 22.02.2019
[5] Bild-Zeitung vom 17.06.2019
[6] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 17.06.2019
[7] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 16.03.2018
[8] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 26.01.2019
[9] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 03.05.2019
[10] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 01.05.2019
[11] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 20.12.2018
[12] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 09.04.2019
[13] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 08.03.2019
[14] Facebook-Seite von Björn Höcke, Post vom 10.02.2016
[15] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 14.10.2018
[16] Deutsche Polizeigewerkschaft, Satzung i.d.F. vom 20.04.2015, PDF-Datei mit 78 KB
[17] Deutsche Polizeigewerkschaft, Polizeispiegel Juni 2019, Seite 3, PDF-Datei mit 4,9 MB

 siehe auch: Ein schlechtes Vorbild für Polizeibeamte vom 01.07.2019